Die Wutkuh
Textauszug
Falk Berghofer, Laura Leyh, Eva Blum © Jörg Metzner
Hinterteil:
Was stinkt zum Himmel?
Igel:
Na was da steht! Könnt ihr denn nicht lesen?
Vorderteil:
Natürlich können wir lesen.
Igel:
Und was steht da?!
Vorderteil:
Das möchtest du jetzt wohl gerne wissen.
Hinterteil:
Seit wann können wir denn lesen?
Vorderteil:
Pssst.
Igel:
„Deutschland baut für Sie die A 21.“ Wisst ihr denn nicht, was das heißt?
Vorderteil:
Natürlich. Deutschland baut für uns die A 21.
Hinterteil:
Für uns die A 21 zum Geburtstag. Das ist toll.
Igel:
Toll? Das ist der Super-Gau! Das größte anzunehmende Unglück. Eine Katastrophe von tierischem Ausmaß. Das ist eine Kriegserklärung gegen mich, gegen Euch, gegen eure Wiese, gegen den Hasen. Das wäre unser Ende! Und deswegen heißt die Parole: Malt kaputt was euch kaputt macht!
Nimmt den Pinsel und will sich wieder an dem Schild zu schaffen machen.
Vorderteil:
Wovon redest du da?!
Igel:
Na von der A 21!
Hinterteil:
Ich versteh nur Bahnhof.
SONG IGEL/KUH: DER ZAUN
Igel:
Vorgestern wollt' ich rüber gehn zum Feld, wo die Salate stehn. Um mich mal wieder voll zu fressen, denn's Essen darf man nicht vergessen.
Kuh:
Sehr richtig, völlig richtig, Essen ist so wichtig!
Igel:
Sag ich doch, ich also los, - mein Hunger war schon ganz schön groß - den gleichen Weg wie jeden Tag am Buschwerk lang, das ich so mag. Doch wo es um die Ecke geht, da, wo die alte Eiche steht, da dachte ich, mich trifft der Schlag. Da war vorbei der schöne Tag.
Kuh:
Warum denn nur, warum? Jetzt red doch nicht drum rum.
Igel:
Ich stand vor einem Riesenzaun. Den Augen wollte ich nicht trau'n. Und dahinter gähnt ein Loch so groß, das ich in Deckung kroch. Und mittendrin ein Ungetüm zerstört das schöne Wiesengrün. Und auch mein Gemüseacker zerhackt von einem Riesenbagger!
Vorderteil:
Oh große Wiese, nein!
Hinterteil:
Oh je, getötet Löwenzahn und Klee?
Igel:
Ja! Salate! Runkelrüben! Nichts als Sand ist da geblieben!
Kuh:
Oh Schreck, was für ein Schreck! Das ganze Essen weg!
Igel:
Sag ich doch, ich also los, - mein Hunger war so furchtbar groß - 'nen neuen Weg an diesem Tag, am Zaun entlang, den ich nicht mag. Und als es um die Ecke ging, - die Zunge aus dem Hals mir hing - da wurde mir schlagartig klar, was der Grund für alles war.
Kuh:
Raus damit, raus, raus, raus! Spuck es endlich aus!
Igel:
Ich stand vor diesem Riesenzaun. Den Augen wollte ich nicht trau'n. So weit ich gucken konnte: Sand. Das Stachelkleid mir senkrecht stand. Und auf dem Sand ein Ungetüm betoniert das Wiesengrün. Hinter allem steckt ein Plan: Sie bauen eine Autobahn!
Hinterteil:
Eine was?
Igel:
Eine Autobahn!
Hinterteil:
Eine Autobahn?
Igel:
Wisst ihr nicht, was eine Autobahn ist?
Vorderteil:
Klar wissen wir, was eine Autobahn ist!
Hinterteil:
Klar wissen wir...
Vorderteil:
Nun ja, also… eine Autobahn…
Igel:
Also nicht. Dann erklär ich`s euch. Eine Autobahn ist eine unvorstellbar breite Straße, auf der Autos mit zwei, vier, sechs, acht und sogar sechzehn Rädern hin und herfahren. Von links nach rechts und rechts nach links, ununterbrochen. Und das so schnell sie wollen und können.
Vorderteil:
(nachdenklich) Autos hin und her. So so. Und du sagst: So schnell sie wollen?
Igel:
So schnell, dass ich nicht mehr über die Straße komme.
Hinterteil:
Aber hier ist doch gar keine Straße.
Igel:
Es soll aber eine gebaut werden.
Hinterteil:
Für uns?
Vorderteil:
Nein! Für die Autos!
Hinterteil:
Wieso? Haben die auch Geburtstag?
Igel:
Hört ihr mir eigentlich zu? Die Autos sind unsere größten Feinde! Täglich wird einer von uns platt gemacht. Letzte Woche hat`s meinen Schwager erwischt. Und das auf einer ganz normalen Straße. Oh nein! Ich muss den Hasen warnen. Der weiß ja noch gar nicht, dass sie heute Morgen schwarzen Brei auf den Beton gekippt haben. Da bleibt man nämlich drin stecken. Ist meinem Bruder mal passiert. Sieht nicht gut aus, der Kerl, aber er hat`s immerhin überlebt. Ich muss ihn unbedingt finden, bevor er die Baustelle erreicht. Hier, halt mal kurz. Ich guck mal eben, wo der Hase bleibt.
Er steckt dem Vorderteil den Pinsel in den Mund und verschwindet.
Eva Blum, Laura Leyh © Jörg Metzner
Das Schild beginnt zu wackeln. Baulärm ist zu hören. Die Kuh starrt auf das Schild.
Hinterteil:
Oh nein. Da ist es wieder.
Vorderteil:
Das darf doch nicht wahr sein.
Hinterteil:
Es kommt näher.
Vorderteil:
Vielleicht hat der Wind ja nur gedreht.
Hinterteil:
Ich kriege Bauchschmerzen.
Vorderteil:
Mein Kopf...
LIED HINTERTEIL: DA IST WAS IN MIR DRIN
Hinterteil:
Da ist was in mir drin, im Bauch – mitten drin. Mir wird davon so flau. Ich spür es ganz genau: Es liegt mir auf den Mägen und lässt sich nicht bewegen, von drinnen zu verschwinden. Ich kann's nicht überwinden. Irgendwo liegt's auf der Lauer. Kommt unverhofft wie'n Regenschauer. Es schlägt ein wie ein Blitz. Nimmt mich völlig in Besitz. Nistet sich ein, hält mich auf Trab, lenkt mich von allem and'ren ab. Ist da und trotzdem nicht zu seh'n. Ich spür's und kann es nicht versteh'n. Wird dieses Zittern immer schlimmer? Die Wiese soll so sein wie immer! Hat der Igel etwa Recht? Oh, mir ist schon richtig schlecht. Ich würde gerne protestrier'n. Ich will nicht unsern Job verlier'n. Wird uns're Milch womöglich ranzig, und Schuld dran ist A Einundzwanzig? Das in mir drin, ich kann's nicht leiden. Du bist der Kopf doch von uns beiden. Erklär mir doch, was ist der Sinn von dieser Angst da in mir drin?
Vorderteil:
Es gibt überhaupt keinen Grund, Angst zu haben.
Hinterteil:
Aber ich hab Bauchschmerzen.
Vorderteil:
Vielleicht ist ja gleich Mahlzeit, dann hört es von selber wieder auf.
Hinterteil:
Und wenn nicht?
Vorderteil:
Und wenn doch!
Hinterteil:
Aber wenn...
Vorderteil:
Wenn, wenn, wenn... du machst mich noch wahnsinnig mit deiner Angst!
Hinterteil:
Aber mein Bauch...
Vorderteil:
Kannst du mal für einen Moment still sein, ich muss nachdenken. Denkt nach.
Hinterteil:
Brauchst du noch lange?
Vorderteil:
Reißt sich zusammen Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen...
Hinterteil:
Was machst du da?
Vorderteil:
Ich mache meine Atemübungen.
Hinterteil:
Und wozu?
Vorderteil:
(genervt) Ich versuche mich zu entspannen, damit ich von deinen Bauchschmerzen keine Kopfschmerzen bekomme. Einatmen und ausatmen...
Hinterteil:
Meinst du, ich kann da mitmachen? Dann gehen meine Bauchschmerzen vielleicht wieder weg.
Vorderteil:
Das ist eine sehr gute Idee.
Das Hinterteil macht mit.
Vorderteil:
Einatmen, ausatmen, einatmen und wieder ausatmen. Jetzt gehen wir beim ausatmen langsam in die Knie und beim einatmen nach oben. Und ausatmen und einatmen...
Hinterteil:
Soll ich auch in die Knie gehen?
Vorderteil:
...ausatmen und wieder einatmen. Mir geht es gut...
Hinterteil:
Wirklich?
Vorderteil:
Sehr gut! Ich stehe auf der Wiese, die Sonne scheint, und es ist ein herrlicher Tag. Es geht mir gut. Eine wohlige Stille macht sich auf der Wiese breit, und ich fühle mich sehr sehr wohl...
Hinterteil:
Aber hörst du denn nicht....
Vorderteil:
Ich höre gar nichts, außer einem zarten Vogelgezwitscher...
Hinterteil:
Entschuldigung, aber...
Vorderteil:
Könntest du mich bitte mal in Ruhe lassen. Sonst funktioniert das nie!
Hinterteil:
Aber hier ist es doch gar nicht ruhig. Und die Vögel zwitschern auch nicht...
Vorderteil:
Du musst dir vorstellen, dass es ruhig ist. Dann wird es auch ruhig.
Hinterteil:
Und du meinst, das klappt?
Der Baulärm wird lauter.
Vorderteil:
Entweder machst du jetzt mit, oder du lässt mich in Ruhe! (brüllt) Ruhe! Und schon wird es still. Ganz still. Sehr still. Man hört nichts, gar nichts...
Das Hinterteil pupst
Hinterteil:
Entschuldigung, aber wenn ich solche Bauchschmerzen habe, krieg ich Blähungen...
Vorderteil:
Ich bin eine glückliche Kuh. Ich bin glücklich, weil ich auf einer saftigen Wiese stehe, und nur ein laues Lüftchen weht mir leicht über das Gesicht.
Das Hinterteil pupst erneut.
Vorderteil:
Könntest du dich vielleicht ein bisschen, nur ein ganz kleines bisschen zusammen reißen?
Hinterteil:
Ich versuch's ja, aber meine Bauchschmerzen...
Vorderteil:
Einatmen, ausatmen... (brüllt) Ruhe! Aufhören! Ich krieg Kopfschmerzen! Ruhe! Maaaaahlzeiiiiiit!
Der Lärm hört auf.
Hinterteil:
Du hast es geschafft! Du bist genial! Ich hätte das ja nie geglaubt, dass das funktioniert.
Vorderteil:
(völlig erschöpft) Ich hab Kopfschmerzen!
Hinterteil:
Aber du hast gemacht, dass es aufhört!
Vorderteil:
Wenn du meinst...
Hinterteil:
Natürlich! Hörst du denn nicht, dass man nichts mehr hört?
Vorderteil:
Doch, schon...
Hinterteil:
Warum freust du dich dann nicht?
Vorderteil:
Ich hab Kopfschmerzen...
Hinterteil:
Also meine Bauchschmerzen sind schon fast weg.
Vorderteil:
Schön für dich.
Hinterteil:
Was hast du?
Vorderteil:
Ich befürchte, dass es wieder losgeht.